John P. Lizza, Persons, Humanity, and the Definition of Death, The John Hopkins University Press, Baltimore 2006, 212 Seiten, ISBN 0-8018-8250-8.
von Karim Akerma
Der Humanoid. Zum Leben
definiert
Bislang wähnten wir, Humanoide existierten allenfalls in der Literatur.
Der US-amerikanische Philosoph John P. Lizza ist anderer Auffassung. Seines
Erachtens leben sie seit Jahrzehnten unter uns. Wann immer die sogenannte
Hirntod-Konstellation (irreversibler Ausfall der Hirnfunktionen bei
gleichzeitiger Aufrechterhaltung der organismischen Funktionen mittels künstlicher
Beatmung) auftritt, entsteht für Lizza ein neues und neuartiges lebendes
menschliches Wesen. Eine mit den Mitteln der Medizintechnik geschaffene und von
ihr vollständig abhängige künstliche menschliche Lebensform. In seinem Buch
zieht Lizza aus, den Tod zu definieren. Kurioserweise definiert er dabei die
sogenannten Hirntoten zum Leben. Hirnbezogenen Todeskriterien wurde in der
Vergangenheit vielfach vorgeworfen, sie erheischten eine Todesdefinition, die in
Wahrheit lebende Menschen zu Tode definiert. Vom theoretischen Ort des weltweit
etablierten hirnbezogenen Todeskriteriums aus gesehen tut Lizza das Gegenteil:
Er definiert die funktionierenden Organismen Verstorbener zum Leben. Diese von
Lizza Humanoide getauften Wesen sind aus den Schwächen seiner Analysen
geboren. Kommen wir aber zunächst auf die Stärken seines Buches zu sprechen.
Lizzas Darstellung bietet einen ausgezeichneten Überblick zu Fragen wie: Was
sind die Bedingungen unserer Fortexistenz? Was kann mit mir geschehen, ohne dass
ich aufhöre zu existieren? Was darf bei Strafe meines Todes nicht mit mir
passieren? In seinem Werk finden Theoreme und Gedankenexperimente von
Philosophen wie J. Locke, D. Parfit, J. Seifert, L. R. Baker oder auch H. Jonas
besondere Berücksichtigung. Einen nicht immer einfach zu rekapitulierenden
Denker wie D. Parfit wird man nach der Lektüre von Lizzas Buch, besser
verstehen.
Neben dem stets ausgeführten Willen zur Feinanalyse komplexer Sachverhalte
macht uns Lizzas Arbeit vertraut mit medizinischen Daten, die belegen, dass der
irreversible Ausfall der Hirnfunktionen bei gleichzeitiger intensivmedizinischer
Versorgung des Patienten noch lange nicht zum Kollaps des Organismus führen
muss. Lizzas Gewährsmann ist der Pädiater D. A. Shewmon. Nicht zuletzt unter
Berufung auf medizinische Befunde gelingt Lizza die Begründung der
Notwendigkeit einer Abkehr von rein biologischen Todesdefinitionen. Er
spricht vom „myth that defining and determining death is a strictly scientific
matter…” (158)
Lizzas philosophischer Widerpart
Seinen philosophischen Gegner bestimmt Lizza schon in der ersten Zeile des
Vorwortes: „This work challenges the ‚biological paradigm’ of death that
has provided the theoretical grounding for acceptance of ‚brain death’ as
death.” Nachdem Lizza sich gegen eine biologische und für eine
bewusstseinsbezogene, mentalistische Todesdefinition ausgesprochen hat, muss der
Leser zur Kenntnis nehmen, dass er gleichwohl die Frage formuliert, „of
whether the death of the person had to necessarily coincide with the death of
the human organism.“ (7) Diese Frage sorgt für Irritation, da eine
Definition als solche alle vorkommenden Fälle umfassen muss. Nach dem Tod gemäß
mentalistischer Definition ist ein Leben immer dann zu Ende, wenn ein
Bewusstsein irreversibel erloschen ist. Nachdem dies geschehen ist, lässt Lizza
jedoch einen zweiten Tod zu, für den es einer ganz anderen Definition bedürfte:
den Tod des in der Hirntodkonstellation bei intensivmedizinischer Versorgung
weiterhin funktionierenden menschlichen Organismus. Vom Leben, Sterben und Tod
des bewusstseinslosen funktionierenden menschlichen Organismus – nach dem Tod
der Person – ist in Lizzas Buch nicht nur einmal, sondern systematisch die
Rede. Auf einen solchen bewusstseinlosen funktionierenden Organismus freilich
kann die Todesdefinition, für die Lizza argumentiert, keine Anwendung finden.
Es bedürfte einer zweiten, einer organismischen Definition. Haben jedoch zwei
ganz unterschiedliche Definitionen nebeneinander Bestand, so ist das Problem der
Todesdefinition alles andere als gelöst. Lizza trägt dem Umstand nicht gebührend
Rechnung, dass seine versierte Begründung und Verteidigung einer
bewusstseinsorientierten Todesdefinition keinen Platz lässt für eine gleichsam
mitlaufende zweite Todesdefinition, der zufolge ein Leben immer dann zu Ende
ist, wenn ein Organismus irreversibel zu funktionieren aufhört.
Konsequenzen für die Transplantationsmedizin
Zu Beginn der Einleitung seines Buches bemerkt Lizza zurecht, die Fortschritte
in der Medizintechnik „have posed many ethical and social problems, but
perhaps none more fundamental and challenging than the problem of defining death.“
(1) Den Weg zu einer Lösung der Aufgabe scheint Lizza sich verbaut zu haben,
indem er disparate Todesdefinitionen nebeneinander Bestand haben lässt und
damit das Wesen dessen, was von einer Definition zu erwarten ist, unterspült.
Für die transplantationsmedizinische Praxis hätte Lizzas Sichtweise
verheerende Konsequenzen. Denn kein Mensch darf zu fremdnützigen Zwecken getötet
werden. Auch nicht zum Zwecke der Organentnahme, um anderen Menschen das Leben
zu retten. Der von Lizza so genannte Humanoid, das medizintechnologische
Artefakt, von dem er spricht, kann jedoch nicht anders denn als lebendes
menschliches Wesen konzipiert werden. Hielte man sich an Lizzas Strategie, zwei
Todesdefinitionen nebeneinander bestehen zu lassen, so bedeutete dies das Aus für
die in zahlreichen Fällen lebensrettende Transplantationsmedizin.
Personen und Organismen
Lizza hat durchaus recht mit dem Befund, „individuals who have lost all brain
functions but continue to function in biologically integrated ways are
integrated organisms of some sort and cannot be classified as corpses” (14f). Aus
dem Umstand, dass die „Hirntote” genannten funktionierenden Organismen keine
Leichname sind, zieht Lizza indes den übereilten Schluss, es müsse sich um
lebende Wesen handeln. „If an organism is still alive in
situations such as „postmortem“ pregnancy, the question arises, what is
alive? […] if an advocate of the consciousness-related formulation of death
wishes to maintain that the person dies even though something is still alive,
what remains alive must be a different sort of being. It must be either a human
being, as distinct from a person, or a being of another sort, such as a
“humanoid” or “biological artifact,” by which I mean a living being that
has human characteristics but falls short of being human, a form of life created
be medical technology.” (15; siehe auch 102, 107) Was seine eigenen
Ausführungen anbelangt, muss man Lizza leider zustimmen, wenn er befindet: „We
grope for language to describe what exists.” (16) Dabei lässt sich der
ontische Sachverhalt problemlos kategorial einfangen: Irreversibel
bewustseinslos gewordene funktionierende menschliche Organismen sind die Organismen
Verstorbener.
Wann immer ein menschlicher Organismus minimales Bewusstsein aufweist, haben wir
es nach Lizza mit einer menschlichen Person zu tun. Hier stellt sich die Frage,
warum dann nicht auch ein anderer als ein menschlicher Organismus mit
vergleichbarem oder gar ausdifferenzierterem Bewusstsein gleichfalls als Person
bezeichnet werden sollte. „My view is that the meaning of
death may vary with the kind of thing that dies and that we have always
understood and treated the death of persons and human organisms differently from
that of other organisms.” (14) Lizza spricht sich gegen eine
einheitliche, alle lebenden Wesen umfassende Todesdefinition aus. Eine solche,
meint er, sei nur um den Preis einer biologistischen Todesdefinition zu haben.
Menschen seien jedoch essentiell nach keine biologischen Entitäten, sondern
Personen. Wobei wir für Lizza nicht deshalb Personen sind, weil oder insofern
wir ein Bewusstsein unserer selbst haben, sondern sofern wir zumindest minimales
Bewusstsein haben. Jedes Individuum der Gattung Mensch mit zumindest rudimentärem
Bewusstsein gilt Lizza als lebende Person. Tiere mit mentalen Eigenschaften
bleiben in seinem Buch weitgehend ausgeklammert. Von seinem Standpunkt aus ist
es denn auch nicht ganz einfach, zu begründen, warum ein Fötus mit minimalem
Bewusstsein eine Person sein soll, die in menschlicher Gemeinschaft lebende
Hauskatze mit voll entwickeltem Bewusstsein hingegen nicht. Lizza
begreift „the death of persons as the irreversible loss of consciousness or
the breakdown of psychophysical integrity.“ (55) Irreversibler
Bewusstseinsverlust oder das Ende der psychophysischen Einheit kommt nun aber
auch bei Tieren vor, von denen Lizza nicht sagen würde, sie seien Personen.
Lizzas Personenbegriff trägt nicht, was er ihm aufbürdet.
Lizza stimmt der US-amerikanischen Philosophin Lynn Rudder
Baker zu, wenn er ausführt, „that subjectivity or the first-person
perspective is primitive and irreducible and that having subjektivity or a point
of view is necessary for anything to be a person.” (80) An anderer Stelle
bemerkt er: „Philosophers from Boethius to Lynne Rudder Baker... have linked
personhood to a being with the capacity or, at least, the potential for some
psychological functions.“ (94) Aus diesen Ausführungen erwächst die
Frage, inwieweit Subjektivität an sich bereits als zureichende Bedingung dafür
angesehen werden kann, dass etwas eine Person ist. Über Subjektivität – im
Unterschied zu Selbstbewusstsein – verfügen schließlich schon zahlreiche
Tiere. Ohne dass Lizza alle Tiere mit Bewusstsein als Personen ansehen würde.
Eine Antwort auf die Frage, warum menschliche Lebewesen mit minimalem (Fötus)
oder residualem (evtl. Individuen im apallischen Syndrom) als Personen angesehen
werden sollen, liegt für Lizza in einer ihm zufolge bislang vernachlässigten
„moral dimension of persons and personal identity.“
(95) Nicht allein interne, auch externe, kulturelle Faktoren sollen als
mitbestimmend dafür berücksichtigt werden, wann eine Person aufhört zu
existieren, tot ist. In diesem Kontext äußert sich Lizza
zur „violence done to our language if we accept persons as phases of human
organisms...“ (114) Wenn man, wie Lizza es im Anschluss an die
Philosophin Baker tut, eine Konstitutions-Sicht vertritt, wonach Personen nicht
mit ihrem funktionierenden Organismus identisch sind, sondern vom ihm
konstituiert werden, so ist eine solche Bemerkung in jeder Hinsicht zutreffend.
Die Beziehung von Organismus und Person ist nicht die der Identität. Bei
alledem prüft Lizza eine alternative Betrachtungsweise nicht ernsthaft, die das
Personsein als Phase unserer Existenz vorstellt, ohne dass der Sprache Gewalt
angetan würde: Der personalen Phase meines Daseins geht prä-personales Dasein
voran. Und Personalität kann abgelöst werden von einer Phase post-personaler
Existenz. Etwa im Falle einer schweren Altersdemenz. Der Betreffende ist dann
sehr wohl noch unter uns, wenngleich nicht länger als Mensch mit
personalen Eigenschaften.
Keine schiefe Bahn im Falle von Alzheimer
Auch wenn Lizza die Auffassung vertritt, dass ein Leben immer dann zu Ende ist,
wenn eine Person für immer zu existieren aufgehört hat, wird ihm niemand den
Vorwurf machen können, sein Denken führe auf eine schiefe Bahn. Für Lizza ist
Personsein – mit Selbstbewusstsein, Verantwortungsfähigkeit,
Zukunftsbewusstsein und kommunikativen Fähigkeiten – keine Phase im Leben
eines Menschen. Lizza nennt alle lebenden Menschen „Personen“. Von
daher besteht „no threat to the severely senile or severely retardet. Since
individuals in these conditions suffer dementia, not amentia, the
consciousness-related definition of death does not rule them out of the class of
persons and hence provides no reason for considering them to be dead. In short,
there is no slippery slope.” (164)
Todes-Pluralismus
Die Todesdefinition gründe auf metaphysischer Reflektion, moralischen
Entscheidungen und kultureller Akzeptanz ebenso wie auf biologischen Fakten, die
entdeckt werden. Aus diesem Grunde, so Lizza, „we should
not look for a unitary definition or criterion of death“ (4). Stets würden
auch kulturelle Faktoren in die Definition mit hineinspielen (vgl. etwa 87). „Because
we are essentially moral, social, and cultural beings, our identity is in part
determined by the relations we have to others. Personal identity or survival is
not purely an internal matter of bodily or psychological continuity.” (134)
Lizzas Abkehr von einer einheitlichen Todesdefinition ist allein schon insofern
problematisch, als er sein Buch hindurch an einer einheitlichen Todesdefinition
laboriert. Spielraum erlaubt die Anlage seiner Argumente im Hinblick auf die
Todeskriterien. Lizzas Anspruch ist durchaus die Entwicklung
der „correct conceptual basis for accepting the various criteria for
determining death: the breakdown of the psychological integrity of the person.
[…] Individuals could then decide which criterion (circulatory and respiratory,
whole-brain, or higher-brain) is consistent with their understanding of
psychophysical integrity.” (179) Individuelle Entscheidungsfreiheit
betreffend die Gültigkeit von Todeszeichen (Todeskriterien), die auf einen
selbst Anwendung finden sollen, sind eine wichtige Anregung, deren Umsetzung
etwa in einer Widerspruchslösung besteht: Jedem sollte es freistehen, den
Willen zu bekunden, erst nach dem Herzstillstand für tot erklärt werden zu dürfen
und nicht erst nach dem irreversiblen Erlöschen der Hirnfunktionen. Worauf wir
uns nicht einlassen sollten, ist die von Lizza befürwortete Aufnahme
kultureller Faktoren in die Todesdefinition. Entweder ich habe für immer zu
existieren aufgehört, bin tot, oder nicht. Um keinen Preis möchte ich, ein
empfindendes Wesen, in der Klinik einer mir fremden Kultur aufwachen, die
befindet, ich sei dennoch tot, da ich einem bestimmten Glauben nicht anhänge.
Fragen um Leben und Tod verlangen nach vernünftigen Antworten, die sich von
kulturellen Befindlichkeiten gelöst haben müssen.